Was israelische Agenten einst nach Argentinien trieb, war nicht nur die Suche nach dem NS-Verbrecher, sondern auch die verdeckte Kooperation zum Bau der Atombombe
Artikel im "der Freitag" von Gaby Weber (20.06.2010)
Wie bin ich an das Thema gekommen? Seit Mitte der achtziger Jahre lebe ich in Südamerika, einem Kontinent, der gerade die Militärdiktaturen überwunden hatte. Ich stieß darauf, dass bei Mercedes-Benz Argentina (MBA) zwischen 1976 und 1983 14 Betriebsräte ermordet worden waren. Die MBA-Manager hatten zudem bei der Ausstattung der Folterkammern geholfen. Grund genug, mich um die Anfänge dieses Unternehmens zu kümmern. MBA war 1951, während der Regierung von General Perón gegründet worden. Perón hatte Tausenden Nazis Unterschlupf gewährt, von denen viele für deutsche Unternehmen arbeiteten, die so ihr während des III. Reiches verstecktes Geld wuschen.
Über seine argentinische Niederlassung pumpte Daimler-Benz mittels fingierter Exportrechnungen Kapital in den Kreislauf der deutschen Nachkriegswirtschaft. Minister Ludwig Erhard reiste persönlich zur Einweihung der Mercedes-Fabrik an. Deutsche gründeten zudem in Córdoba ein Flugzeugwerk, in Bariloche ein Atomzentrum und erprobten neue Raketen und Sprengstoffe. Sie machten dort weiter, wo sie 1945 aufgehört hatten – fernab des alliierten Verbots, auf deutschem Boden ABC-Waffen zu entwickeln. Der Militärputsch gegen Perón (1955) beendete die Geldwäsche, Mercedes-Benz wurde beschlagnahmt. Doch nach zwei Gerichtsurteilen eröffnete das Unternehmen drei Jahre später wieder seine Pforten. Das beschlagnahmte Firmenarchiv – darunter die komplette schwarze Buchführung – fand ich in einem feuchten Kellerverlies.
Unerhört!
MBA hatte Adolf Eichmann 1959 unter dem Namen Ricardo Klement angestellt. Man kannte seine Vergangenheit, seine Kinder gingen unter dem Namen Eichmann auf die Deutsche Schule. Warum auch sich verstecken? Argentinien lieferte die „Politischen“ nicht aus, Interpol verweigerte die Mithilfe und vor allem: Damals verjährte Mord nach 20 Jahren. Die Nazis sahen sich als Regierung im Wartestand, die spätestens 1965 ihr Exil verlassen und zurückkehren wollten.
Die Organisation Gehlen und der aus ihr hervorgegangene Bundesnachrichtendienst (BND) hielten enge Kontakte zu den Abgetauchten. Schließlich waren in den Pullacher Amtsstuben ebenfalls frühere Abwehrleute und SS-Mitglieder „versorgt“ worden. Bei meinen Recherchen darüber halfen mir im US-Bundesarchiv Washington (NARA) die Interagency Working Group on Nazi Crimes und Historiker, die dank ihres Security Certificate Zugang zu sensiblen Dokumentensammlungen durchgesetzt hatten – für ihre deutschen Kollegen undenkbar. Als ich hingegen auf Einladung der Berliner Gesellschaft für Faschismus und Weltkriegsforschung meine Eichmann-Forschungen darlegte und um Hilfe bei der Öffnung deutscher Archive bat, erntete ich Unverständnis. War zu Eichmann nicht alles gesagt? Und nun kommt eine Journalistin aus Argentinien, von der die offizielle Geschichtsschreibung als Desinformation brandmarkt wird?Unerhört!
Bei NARA hatte ich 2006 einen CIA-Vermerk gefunden, wonach der BND im März 1958 dem US-Geheimdienst Eichmanns Aufenthaltsort und Decknamen mitteilte. Gegen den Kriegsverbrecher bestand Haftbefehl der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Der aber wurde vom BND vorenthalten, wo sich der geflüchtete Massenmörder aufhielt.
Eichmanns hatte als Kader des Sicherheitsdienstes (SD) im Januar 1942 bei der Wannsee-Konferenz Protokoll geführt und danach für den Abtransport der Juden in die Vernichtungslager gesorgt. Wenig weiß man über seine Umtriebe in Südamerika. Und noch weniger bekannt ist jene heikle Kooperation Israels, Argentiniens und des jungen Bonner Staates bei der Nuklearforschung. Es verband sie ein gemeinsames Interesse: Tel Aviv wollte die Atombombe – und Adenauer hatte ebenfalls Interesse an einer atomaren Option. 1960 stellte sein Kabinett dem israelischen Chaim-Weizmann-Institut drei Millionen Mark für die gemeinsame Nuklearforschung zur Verfügung. Und wo ein Haushaltsposten ist, muss es Unterlagen über den Mittelabfluss geben. Die wollte ich finden, suchte zunächst in Argentinien und wurde bei der Atomkommission fündig. Man bestätigte drei Uran-Lieferungen an Israel, im Staatsarchiv fand ich die Exportgenehmigungen: 1960, 1962 und 1963 weitere hundert Tonnen. Das reichte für mehrere Atombomben. Die US-Regierung wusste von diesen Lieferungen, teilte mir das Department of Energy mit. Meine Ausbeute im Koblenzer Bundesarchiv war dagegen eher bescheiden. Das Ganze war Chefsache, und die dort aufbewahrten Kanzleramts-Akten offenbarten nur Fragmente. Ich fragte 2007 erstmals im Bundeskanzleramt nach, wo man sich aufgeschlossen gab und mir versicherte, es würden keine Akten zu einem Nazi-Kriegsverbrecher zurückgehalten. Doch zu meinem Auskunftsbegehren – Eichmann in Argentinien und nukleare Zusammenarbeit – wollte man nichts gefunden haben. Lediglich eine Geheimakte tauchte auf, die – nach vielen Monaten – freigegeben wurde: Unterlagen des Krisenstabes, der nach der Verhaftung Eichmanns in Israel 1960 einberufen worden war. Adenauer fürchtete Kritik aus dem Ausland, da in seiner Regierung ehemalige Amtsträger des NS-Regimes saßen. Staatssekretär Globke – als Ko-Autor der Nürnberger Rassengesetze ein Kenner der Materie – leitete den Krisenstab.
Ewige Geheimhaltung
Blieb also Pullach übrig. Ich erwartete mit den üblichen Floskeln abgespeist zu werden. Denn im Gegensatz zu den USA, wo dank des Freedom of Information Act sensible Daten heraus geklagt werden können, klammert das deutsche Informationsfreiheitsgesetz die Geheimdienste aus. Um so größer war mein Erstaunen, als mir der BND mitteilte, er habe die von mir gewünschten Akten gefunden: 4.500 Blatt zu Eichmann in Argentinien und zu „nuklearer Zusammenarbeit der Bundesrepublik, Argentiniens und Israels”. Dieses Material sei aber für immer geheim. Man müsse die Persönlichkeitsrechte seiner Agenten schützen.
Ich reichte Klage ein. Laut Bundesarchivgesetz müssen die Behörden nach 30 Jahren ihre Akten an das Bundesarchiv überstellen. Der BND tut dies fast nie und behauptet, die Dokumente weiter bei sich zu benötigen. So verlängert er sich selbst die Fristen und gibt Papiere nicht nach Koblenz ab, wo sie Forschern auffallen könnten.
Der BND bat die dienstführende Behörde um eine Sperrerklärung. Hatte das Kanzleramt Monate zuvor vollmundig die Offenlegung der Eichmann-Akten versprochen, sah es nunmehr die Republik gefährdet. Das Material, das der BND inzwischen auf 3.400 Blatt herunter gerechnet hatte, stamme von einem Nachrichtendienst aus Nahost, sprich Mossad. Und der lege Wert auf ewige Geheimhaltung. Beweise dafür legte das Amt nicht vor. Im Anti-Terror-Kampf sei die Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden lebenswichtig.
Ende April 2010 urteilte nun der Geheimschutzsenat des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Sperrerklärung „rechtswidrig” war. Ihm waren die ungeschwärzten 3.400 Blatt vorgelegt worden. Sie seien von „zeitgeschichtlichem Interesse“, so die Richter, „sie beziehen sich nicht auf Umstände, die bislang geheim gehalten worden seien, sondern auf die NS-Gewaltherrschaft, die systematische Verfolgung der europäischen Juden und die Rolle verschiedener Mitglieder des NS-Regimes, namentlich Adolf Eichmann, sowie mit diesen Personen im Zusammenhang stehenden Vorgänge der Nachkriegszeit“. Eine Hintertür ließen die Richter offen: Es könne eine neue Sperrerklärung geben, die nicht pauschal, sondern konkret die Gefahren der Freigabe benennen müsse. Wird Angela Merkel die Akten oder Teile weiter blockieren? Dann riskiert sie ein neues Urteil. Elan Steinberg¸ Sprecher der Holocaust-Überlebenden in den USA, hält es für „unzumutbar und schamlos, wenn über ein halbes Jahrhundert Akten über den Architekten der Endlösung geheimgehalten” werden.
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