Mittwoch, 9. Juni 2010

Otto Bickenbach (11.03.1901 - 26.11.1971)

  • deutscher Internist und Professor an der Reichsuniversität Straßburg
  • ab 1. Mai 1933: NSDAP und SA-Mitglied
  • ab April 1934: stellv. Direktor der Medizinischen Klinik der Universität Freiburg ("im Stile eines Säuberungskommissars")
  • 1938: Habilitation
  • 1939: Utropin-Experimente bei Phosgenvergiftungen (vermeintliches Gegenmittel)
  • 1939: NS-Dozentenbund
  • ab 24. November 1941: außerordentlicher Professor an der Reichsuniversität Straßburg und Direktor der Medizinischen Poliklinik
  • Juni 1943: KZ Natzweihler-Struthof; er wählt aus den Häftlingen die Versuchspersonen für seine Phosgen-Experimente aus
  • Assistent war Helmut Rühl
  • "Behandlung" (Gaskammer) von etwa 150 Personen in Serien von jeweils 30 Häftlingen; von jeder Gruppe starben sieben, acht Häftlinge; die Überlebenden wurden, soweit transportfähig, nach Auschwitz, Bergen-Belsen oder Lublin verbracht [1],[2]

  • Juni - August 1944: erneute Versuchsreihe mit mehr als 50 Häftlingen, welche für medizinische Versuche aus Auschwitz nach Natzweiler-Struthof transportiert und im Laufe dieser Versuche ermordet wurden; als offizielle Todesursachen wurden Lungenentzündung sowie Herz- und Körperschwäche angegeben


Hierzu die Aussagen dreier Überlebender der Giftgas-Experimente:

Franz Hauer (damals 21 Jahre alt):
 "Ich bekam in einem Emaillebecher eine Flüssigkeit zu trinken, die aussah wie klares Wasser, aber süßlich schmeckte." Der Professor habe ihnen vor dem Eintritt in die Gaskammer gesagt, sie sollten tief einatmen. Danach habe er mehrere Ampullen in den Raum geworfen und die Tür blitzschnell verschlossen. Nach dem Versuch seien sie ins Krematorium gebracht worden. Etwa 5 bis 6 Häftlinge seien gestorben: "Verschiedene Häftlinge spuckten aufgrund ihrer Lungenerkrankungen Blut in einen Eimer. Nach meiner Erinnerung starben sie meistens nachts." (Aussage vom 29. Mai 1981, ZSt 419 AR-Z 90/80)
Willy Herzberg (damals 23 Jahre alt):
"Sie hatten braunen Schaum vor dem Mund stehen, der auch aus den Ohren und den Nasenlöchern kam. Nachdem wir in die Gaskammer geführt worden waren, stand der Professor im Eingang und hatte zwei Glasampullen, die aussahen wie Dr. Oetkers Aromafläschchen. Der Professor ermunterte uns nochmals, uns forsch zu bewegen, fest einzuatmen. Dann schmiß er die beiden Fläschchen gegen die Wand und schmiß sofort die Türe zu." Die Tür sei kaum zu gewesen, da habe der Professor schon gefragt, ob die Ampullen zerbrochen seien: " Ca. 10 Minuten nach Versuchsbeginn hörte ich ein dumpfes Klatschen, so wie man beide Hände hohl aufeinander schlägt. Dieses Geräusch kam von den zerplatzenden Lungen der beiden Häftlinge, die danach umfielen und den von mir bereits beschriebenen Schaum vor Mund, Nase und Ohren hatten." (Aussage vom 01. Juli 1981, ZSt 419 AR-Z 90/80)
Rudolf Guttenberger (damals 23 Jahre alt):
"Für den Transport nach Natzweiler wurden 100 kräftige Zigeuner ausgesucht. An die Zahl Hundert kann ich mich genau erinnern."
"Wir hatten lange Fieber, acht Tage. Danach wurden wir geimpft. Dann ging das Fieber. Daran starb ein Häftling."
Drei Tage nach einem erneuten Versuch stirbt sein Cousin Albert Eckstein: "Eckstein hat während dieser drei Tage schrecklich gelitten. Er hustete rosarotes Blut, je länger es dauerte, kamen Lungenfetzen aus dem Mund." (Aussagen vom 04. Juni 1981, ZSt 419 AR-Z 90/80)
  • 17. März 1947: Verhaftung und französische Untersuchungshaft
  • nach eigener Aussage Bickenbachs habe er nur "mit Rücksicht auf Himmlers Befehl" gehandelt, gebe aber zu, daß derlei Experimente "der ärztlichen Ethik zuwiderlaufen".[3]
  • 24. Dezember 1952: Verurteilung zu lebenslanger Zwangsarbeit durch ein Militärgericht in Metz wegen "Verbrechens der Anwendung gesundheitsschädlicher Substanzen und Giftmord"
  • Januar 1954: Aufhebung des Urteils durch ein Pariser Militägericht
  • Mai 1954: erneute Verhandlung vor einem Militägericht in Lyon: 20 Jahre Zwangsarbeit
  • 1955: Begnadigung im Rahmen einer Amnestie
  • 1962: Bickenbach beantragt die Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens um rehabilitiert zu werden; die Verhandlung dauert nur einen Tag
  • der Richter vertritt die Ansicht, "Bickenbach habe sich entschieden geweigert, teilzunehmen, aber schließlich teilgenommen, um möglichst viele Häftlinge zu retten."
  • Akten des Ahnenerbe (Bundesarchiv) sowie Protokolle der Hauptverhandlung im Nürnberger Ärzteprozeß wurden vom Gericht nicht verwertet
  • in den Akten werden u.a. als Zeugen "der untadeligen Haltung Bickenbachs" Dr. Hans Stempel aus Speyer, Kirchenpräsident der pfälzischen Kirche, Vorstandsmitglied der Stillen Hilfe, einer Nazitäter-Hilfsorganisation sowie Dr. Helmut Rühl, Bickenbachs Assistent im KZ Natzweiler-Struthof, angeführt
  • 10. Februar 1966: Rehabilitierung durch das Berufsgericht für Heilberufe in Köln
Das abschließende Urteil:
"Ihm ist weder ein strafrechtlich relevantes Verhalten noch ein Verstoß gegen die ärztlichen Berufspflichten vorzuwerfen. Er habe seine ärztlichen Berufspflichten getreu dem hippkratischen Eid nicht verletzt. Es wird festgestellt, daß der Antragsteller durch die Beteiligung an diesen Versuchen seine ärztlichen Berufspflichten nicht verletzt hat."[4]
  •  später Internist in Siegburg

Quellen:

1: Protokoll des Nürnberger Ärzteprozesses, S. 1093f.
2. Aussage Ferdinand Holl (Revierkapo im KZ Natzweiler-Struthof) im Nürnberger Ärzteprozeß
3. Aussage Otto Bickenbach im Nürnberger Ärzteprozeß, Dokument 3848 Seite 7
4: Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe beim VG Köln vom 10. Februar 1966 (1T 15/62)

"Die Zeit" Ausgabe 49/1997 "Deutscher Menschenverbrauch"
"Der Spiegel" Ausgabe 46/1983 "Ungezügelte Bosheit"

Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma e.V.: Sinti und Roma im Konzentrationslager Natzweiler-Struthof
Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer
Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich

1 Kommentar:

  1. Es sieht so aus als ob man in einer Berufsgerichts Verhandlung die von "Fachkräften der gleichen Fakultät" geführt wird und wurde nur den fachlichen Aspekt einer Tat Human aussehen lassen muß und man ist aus dem Schneider etwas "Reue zeigen" kann auch nicht schaden. Viele der Täter und die die sich diese Versuche ausgedacht haben sind doch wohl nach ihren "Ergebnissen der an Menschen gemachten Versuche" befragt worden und wenn man den Medien glauben darf wird auch heute noch davon profitiert und das in barer Münze.

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